Rémy Markowitsch
Ans Licht bringen
Er greift auf, was ihm zufällt. Rémy Markowitsch entdeckt seine Motive, in alten Büchern genauso wie in gefundenen Diasammlungen, Cooking Cards oder Fotoalben. Was er dann daraus produziert, hat jedoch nichts mit den modischen Hybriden computer-generierten Fotografie gemein, auch wenn seine Arbeiten das Thema der Hybridität durchaus berühren. Er geht jedoch von bereits vorhandenen Formulierungen aus und entkommt dadurch der Gefahr der unendlichen, synthetisierenden Möglichkeiten des Rechners. Seine Art der Gestaltung ist auf wenige Aktivitäten reduziert. Die Komposition überläßt er weitgehend dem Zufall. Seine Arbeitsweise besteht aus Finden, Umwerten, Sammeln, Kompilieren und nicht zuletzt dem Durchleuchten. Denn darin besteht seine Methode, disparate Elemente zusammenzufügen. Eine einfache Lichtquelle, hier ein Leuchttisch, läßt Abbildungen und graphische Elemente eines beidseitig bedruckten Blattes gegenseitig durchdringen. Aus der Überlagerung zweier Aufnahmen von Tieren, Landschaften, Menschen und Pflanzen entstehen Mischwesen, die im Falle letzterer häufig an Fehlentwicklungen der gentechnologischen Forschung denken lassen.

Auf den Landschaftsdarstellungen »Nach der Natur« wird da-gegen die Fiktionalität der von Europäern fotografierten, afrikanischen Landschaft, Resultat eines kolonialistischen Blickes, noch gesteigert. Sie verlieren ihre Konturen, werden rätselhaft, fremdartig und nebulös. Schon der Titel »Nach der Natur« deutet Distanz an und betont den artifiziellen Charakter des Gezeigten.

Gebrauchte Bücher bilden für den Künstler den Ausgangspunkt aber noch für andere Werkgruppen. So wertet er die Markierungen, Inschriften und Kritzeleien in diesen Druckwerken zu »Zeichnungen« auf, bilden sie für ihn doch historisch interessante, subjektive Äußerungen, die sowohl bewußte Kommentierung, als auch unbewußte Ergebnisse etwa eines langweiligen Unterrichts darstellen können.
Zudem greift Markowitsch die Spuren auf, die der Druck eines Bildes auf der anderen Seite hinterläßt. Denn obwohl sie durch ein zuviel an Farbe entstanden sind, erscheinen sie als verschwindende Bilder und verweisen auf den tatsächlichen Prozeß, dem allmählichen Verblassen von Abbildungen und dem Vergilben von Buchseiten. Phasen dieses Ablaufes will Rémy Markowitsch für einen Moment aufhalten, fotografisch fixieren. Rezepte mit Essensfotos oder Diakollektionen mit Aufnahmen von Urlaubsreisen, Hobbys oder Familienfeiern, die er beim Trödler findet, übersetzt er in die digitale Technologie der Foto-CD-Folge, und verleiht ihnen damit eine neue Präsenz und Aktualität. Dabei kehrt er das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit vielfach um.

Doch sind es nicht nur Gegenstände, die Rémy Markowitsch zusammenträgt und zu einem individuellen Archiv kompiliert, sondern auch Handlungen. Für seine Arbeit »Lesungen« nahm er befreundete Personen in ihrer Wohnung auf, wie sie in intimer Atmosphäre Stellen aus einem Buch vorlesen. Das laute Vorlesen, eine persönliche Mitteilungsform und Möglichkeit der sprachlichen Reproduktion, die heute zunehmend an Bedeutung verliert, wurde von Markowitsch in das moderne Medium der VCD (Video-CD) übertragen, wie er überhaupt gerne Kommunikationsformen unterschiedlicher Zeitalter kombiniert. Sehmaschinen benützt der Künstler stets dazu, um Dinge zum Vorschein zu bringen, die gewöhnlich nicht wahrzunehmen sind. Sie ermöglichen einen ungewohnten Blick auf das Alltägliche. Neben dem Leuchttisch, mit dessen Hilfe Markowitsch Synthesen von beidseitigen Abbildungen herstellt, bedient er sich seit jüngster Zeit den Durchleuchtungsgeräten, wie wir sie vom Flughafen kennen. Dabei ist es hier nicht das Interesse an der Kontrollfunktion, sondern die Neugier des Betrachters, die ihren Gebrauch bestimmt. Mit ihnen kann er hinter die Oberflächen der Dinge dringen.

Eine Reihe von Aufnahmen durchleuchteter Tierpräparate trägt den Titel »ÄsopScans«, der auf den berühmten Dichter von Fabeln, welcher in seinen Texten menschliche Eigenschaften auf die Tierwelt übertrug, verweist. Übertragungen ergeben immer prägnante Veränderungen. In den vom Monitor abfotografierten Aufnahmen ist es die Kontur der Körper, die zugunsten ihres künstlichen, mechanischen Skeletts verschwindet. Die Simulation von Tieren werden auf eine zweidimensionale Ebene reduziert und gewinnen fast emblematischen Charakter.

Der Blick ins Innere legt in diesen Fällen aber nicht nur eine raffinierte Binnenstruktur frei, sondern verändert wesentlich auch den Ausdruck der gesamten Figur. Die Tiergestalten erinnern wegen ihrer halb organischen, halb anorganischen Zusammensetzung an Cyborgs. Rémy Markowitschs Werke zeigen, daß ein neues Sehen durchaus eine inhaltliche Verschiebung bewirken kann.


Justin Hoffman