Rémy Markowitsch
Blumenstück I, (Flower piece I), 1996
RC Prints, acrylic glass, 630 x 199 cm

  


Stilisieren, überdeterminieren

»Es gibt kein Lebewesen, das in der Symbolik häufiger Verwendung findet, als die Blume. Ihre Sinnlichkeit lädt zum metaphorischen Gebrauch geradezu ein. Für die Kennzeichnung von Personen und Szenen spielt die Blume in der Geschichte der Kunst stets eine wichtige Rolle. Die Schönheit der Blüten, Blätter und Ranken regen den Künstler aber auch zur Stilisierung und zur Gestaltung orna mentaler Strukturen an.

Parallel zum Aufschwung der Gartenkultur im 16. und 17. Jahrhundert entstehen in den Niederlanden Bilder, die fast aus schließlich Blumen wiedergeben. Häufig werden diese Blumenstilleben als Allegorien von Vergänglichkeit und Vanitas verstanden. Herkunft und Blütezeit sind für ihre jeweilige Aus sage von großer Bedeutung. Für Gemälde dieser Art bürgerte sich der Begriff »Blumenstück« ein, den Rémy Markowitsch für eine Reihe grossformatiger Werke, die auf fotografischen Abbildungen aus Blumenbüchern basieren, übernahm. Das Blumenstück I aus dem Jahr 1994 besteht aus sieben Tafeln, hoch formatigen Fotografien zwischen Acrylgläsern. Sie zeigen prächtige Blüten, Blumenarrangements von solcher Üppigkeit, daß sie mit ihrem extremen Farb und Formenspiel einen fast psychodelischen Eindruck erzeu gen.

Ihre Fülle ist künstlich. Denn bei näherem Blick erweist sich, daß sie auf den Überlagerungen zweier Fotografien mittels Durchleuchtung basieren. Gleichermaßen ein Resultat dieser Technik bilden die beiden hellen Streifen, die sich quer durch die nebeneinander gehängten Tafeln ziehen. Diese hellen Teile sind Effekte des Buchlayouts und ergeben sich durch die von Bildkanten begrenzten unbedruckten Stellen auf je einer Seite.

Die Ausschnitte der durch leuchteten Fotografien sind zudem von Rémy Markowitsch so gewählt, daß die Querstreifen als beabsichtigte Kompo sitionselemente erscheinen, als ein individuelles Gestaltungsmittel, wenn gleich auch sie vorgegeben und vom Künstler nur gefunden sind.

Dieses und die anderen Blumenstücke bewegen sich an einer ästhetischen Grenze. Ihre extreme Buntheit bringt sie an den Rand des Kitsches und ihre vielfältige Farben pracht in die Nähe von Abstraktion. Sie wirken so opulent und überdetermi niert, daß sie kaum zu dechiffrieren sind. Blumenbilder können leicht geschmäcklerisch und lieblich wirken. Auf den »Blumenstücken« von Markowitsch ist die Sinnlichkeit der Blüten aber so ins Extrem getrieben, daß sich der Betrachter sowohl angezogen als auch abgestoßen fühlen kann. Die Farbigkeit dieser Werke, der er sich nicht gänzlich entziehen kann, erscheint ihm als unheimlich, ja fast bedrohlich«.

s. Justin Hoffmann,
Erleuchten und Erblassen in Finger im Buch, 1996, Hrsg. von Kunstmuseum Luzern.